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Therapie der myelodysplastischen Syndrome mit niedrigem Risiko

Autor: Dr. med. Aristoteles Giagounidis, St.-Johannes-Hospital Duisburg, Duisburg-Hamborn
Quellenangabe: Deutsches MDS-Forum - Dresden 2006
Stand: 27.11.2006

Myelodysplastische Syndrome (MDS) sind myeloische Stammzellerkrankungen, die unbehandelt eine sehr unterschiedliche Gesamtüberlebenszeit aufweisen. Eine Auswertung des Düsseldorfer MDS-Registers zeigt, dass 20 Prozent der Patienten eine Überlebenszeit von nur wenigen Monaten aufweisen, während weitere 20 Prozent der Patienten unbehandelt 6 Jahre und länger überleben. Der Notwendigkeit, die Prognose der Patienten besser abzuschätzen, wurde mit der Entwicklung von Prognosescores Rechnung getragen. Als derzeit anerkanntester Index gilt der Internationale Prognosescore IPSS [Greenberg P 1997]. Da die mittlere Gesamtüberlebenszeit der Patienten mit niedrigem Risiko (5,7 Jahre) und derer mit intermediär-I-Risiko (3,5 Jahre) sich deutlich von der mittleren Überlebenszeit der intermediär-II- (1,2 Jahre) und Hochrisikogruppe (0,4 Jahre) unterscheidet, werden die ersten beiden Patientenpopulationen üblicherweise als Niedrig-Risiko-MDS zusammengefasst und den Hochrisiko-MDS der zweiten Patientenpopulation gegenübergestellt.

Die Tatsache, dass Patienten mit Niedrig-Risiko-MDS eine mitunter lange, ereignisfreie Überlebenszeit verbringen können, ist eine besondere Herausforderung an die behandelnden Ärzte, die sich gerade bei dieser Patientenpopulation dem Grundsatz des "primum nihil nocere" verpflichtet sehen müssen. Aus diesem Grunde kommt der supportiven Therapie auch weiterhin eine bedeutende Rolle in der Behandlung dieser Niedrig-Risiko-Patienten zu. Erfreulicherweise haben sich zusätzlich in den letzten Jahren einige aktive Behandlungskonzepte etablieren können, die auf verschiedenen pathophysiologischen Ansatzpunkten gründen.

1. Supportive Therapie

Zur supportiven Therapie zählen Transfusionen von Erythrozytenkonzentraten, Thrombozytenkonzentraten, die interventionelle oder prophylaktische Verwendung von Antibiotika, und die Behandlung der transfusionsinduzierten sekundären Eisenüberladung.

Zur Prävention der sekundären Hämochromatose stehen drei Präparate zur Verfügung: Deferoxamin als Standardsubstanz, Deferiprone als Ausweichsubstanz, und neuerdings das erst in diesem Monat zugelassene Präparat Deferasirox. Aufgrund der kurzen Plasmahalbwertszeit kann Deferoxamin nur als Dauerinfusion intravenös oder subkutan verabreicht werden, oder als zweimal tägliche subkutane Bolusinjektion appliziert werden. Es weist eine dosisabhängige Ototoxizität auf und kann zu Sehstörungen führen, so dass regelmäßige fachärztliche Kontrolluntersuchungen notwendig sind. Die offizielle Zulassung von Deferiprone beschränkt sich auf die Eisenchelationsbehandlung von Thalassämie-Patienten mit Deferoxaminunverträglichkeit, so dass der Gebrauch bei MDS-Patienten nur eingeschränkt möglich ist. Auch sind tödlich verlaufende Agranulozytosen in seltenen Fällen berichtet worden. Deferasirox weist einen dosisabhängigen Effekt sowohl auf die Lebereisenkonzentration als auch auf das Serumferritin auf und kann aufgrund seiner guten Lipophilie und langen Halbwertszeit einmal täglich oral eingenommen werden. Effektive Dosierungen betragen 20 bis 30 mg/kg Körpergewicht. Neuere Untersuchungen haben die Effektivität bei Thalassämiepatienten, bei myelodysplastischen Syndromen und bei anderen Anämiepatienten nachweisen können. Hauptsächliche Nebenwirkungen sind abdominelle Beschwerden und Diarrhoen, Agranulozytosen wurden nicht berichtet.

2. Erythropoetin +/- Granulozyten-koloniestimulierender Faktor (G-CSF)

Patienten mit niedrigem endogenem Erythropoetinspiegel (<200 U/l) und niedrigem Transfusionsbedarf (<2 EK/Monat) haben eine hohe Ansprechwahrscheinlichkeit auf eine Therapie mit erythropoetischen Zytokinen, evtl. in Kombination mit G-CSF [Hellstrom-Lindberg E 2003]. Patienten mit ringsideroblastischer Störung scheinen besonders von der Zugabe von G-CSF zu profitieren. Längerfristige Verbesserungen (>24 Monate) der Erythropoese sind regelhaft möglich [Jadersten M 2005]. Wegen der sehr geringen Nebenwirkungsrate ist diese therapeutische Option empfehlenswert, obwohl sie in der EU nicht in dieser Indikation zugelassen ist.

3. Antithymozytenglobulin (ATG) + Ciclosporin A (CsA)

Die immunmodulatiorische Therapie mit ATG und CsA zielt auf die Vernichtung autoreaktiver T-Zellen ab, die apoptosefördernd auf hämatopoetische Stammzellen wirken. Verbesserungen der Hämatopoese bis hin zu vollständiger Transfusionsfreiheit, Anstieg der neutrophilen Granulozyten und der Thrombozyten werden in der Literatur mit 25-55 Prozent beziffert [Molldrem JJ 1997] [Stadler M 2004]. Besonders gut sprechen junge Patienten mit geringer Transfusionspflicht, hypoplastischem MDS und bestimmten HLA-Merkmalen (DR15) an. Obwohl das Ansprechen bei Patienten mit RARS als gering eingestuft wird, sind in unserer eigenen Erfahrung mehrere Patienten mit diesem Subtyp transfusionsunabhängig geworden. Die Häufigkeit der Nebenwirkungen bei der ATG-Applikation macht einen stationären Aufenthalt erforderlich. Auch längerfristig müssen die Patienten engmaschig zur Vermeidung von CsA-assoziierter Toxizität (Nierenfunktionseinschränkung, Gingivahypertrophie, Tremor) hämatoonkologisch nachgesorgt werden.

4. Valproinsäure

Das Antiepileptikum Valproinsäure führt durch Inhibition der Histondeacetylase zur Expression vorher stummgeschalteter Gene. In der Niedrig-Risiko-MDS-Population sind erythropoetische Ansprechraten bis zu 50 Prozent in Subgruppen möglich [Kuendgen A 2004]. Nach einer Aufsättigungsphase sind Blutspiegelkontrollen zur Dosisfindung und Vermeidung zentralnervöser Nebenwirkungen erforderlich.

5. Lenalidomid

Das Thalidomidanalogon Lenalidomid hat bei allen MDS-Unterformen erythropoetische Wirksamkeit gezeigt. Spektakuläre Ansprechraten sind insbesondere bei Niedrig-Risiko-Patienten mit del(5q) chromosomaler Anomalie und bei Patienten mit normalem Karyotyp gezeigt worden [List A 2005] [List AF 2005] [Raza A 2005]. Bei del(5q) Patienten mit IPSS low- oder intermediär-1-Risiko wurde das erythroide Ansprechen mit 75 Prozent berichtet. Die mediane Dauer des Ansprechens liegt im Größenbereich von 75 Wochen. Einige Patienten nehmen die Medikation bereits über 4 Jahre und länger ein. 44 Prozent der Patienten erreichten eine komplette zytogenetische Remission, bei weiteren 26 Prozent ließ sich eine signifikante Reduktion abnormer Metaphasen (>50 Prozent) nachweisen. Bei Patienten mit normalem Karyotyp sind erythroide Ansprechraten von knapp 60 Prozent mitgeteilt worden, allerdings liegt in dieser Patientengruppe das mediane Ansprechen unter 1 Jahr (43 Wochen). Patienten mit anderen Karyotypanomalien sprechen nur gelegentlich auf die Lenalidomidbehandlung an. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Neutropenie und Thrombozytopenie, die engmaschige Blutbildkontrollen innerhalb der ersten 8 Wochen der Behandlung erforderlich machen. Weitere Nebenwirkungen sind Juckreiz, Diarrhoe, Muskelkrämpfe, autoimmune Hypothyreosen und Hautausschlag. Aufgrund der Tatsache, dass es sich um einen Thalidomidabkömmling handelt, ist eine strikte Antikonzeption der behandelten Patienten unerlässlich. Lenalidomid ist in der EU bisher nicht zugelassen, jedoch über Paragraph 73.3 des Arzneimittelgesetzes aus den USA und der Schweiz importierbar. Hier erfolgte die Zulassung zur Behandlung anämischer Patienten mit del(5q) MDS im Dezember 2005.

Zusammenfassung

Zusammenfassend haben sich die Therapieoptionen bei Niedrig-Risio-MDS-Patienten erfreulicherweise deutlich ausgeweitet. Zum jetzigen Zeitpunkt werden überwiegend Monotherapien in speziellen Untergruppen durchgeführt. Es besteht die Hoffnung, durch Kombinationstherapien in naher Zukunft weitere Fortschritte zu erzielen, die sich nicht nur auf die Lebensqualität der Patienten, sondern auch auf ihr Gesamtüberleben positiv auswirken dürften.



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