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Myelodysplastische Syndrome: Morphologie und Klassifikationen

Autor: Prof. Dr. med. Carlo Aul, St. Johannes-Hospital, Duisburg-Hamborn
Quellenangabe: Deutsches MDS-Forum - Dresden 2006
Stand: 27.11.2006

Myelodysplastische Syndrome (MDS) sind erworbene klonale Stammzellerkrankungen, die durch normale bis erhöhte Zelldichte des Knochenmarks, unterschiedlich ausgeprägte Reifungsstörungen (Dysplasie) der hämatopoetischen Zellreihen, quantitative Veränderungen (im Regelfall Verminderungen) peripherer Blutzellen und erhöhtes Risiko akuter myeloischer Leukämien ("Präleukämien") charakterisiert sind.

Diagnostik und Subklassifikation der MDS waren seit Erstbeschreibung des Krankeitsbilds durch den englischen Pathologen Hamilton-Paterson einem steten Wandel unterworfen [Hamilton-Paterson JL 1949]. 1982 erarbeitete die French-Amerian-British (FAB) Cooperative Group erstmals verbindliche Kriterien für die Einteilung der MDS (FAB-Subklassifikation) und definierte anhand morphologischer Kriterien fünf Untergruppen, die als refraktäre Anämie mit oder ohne Ringsideroblasten (RA bzw. RARS), RA mit Blastenvermehrung (RAEB), RAEB in Transformation (RAEB/T) und chronische myelomonozytäre Leukämie (CMML) bezeichnet wurden [Bennett JM 1982].
Als Grenzwert für die Diagnose einer akuten myeloischen Leukämie (AML) wurde von der FAB-Gruppe ein Blastenanteil von über 30 Prozent im Knochenmark gefordert. Die FAB-Klassifikation hat entscheidend zur Vereinheitlichung der MDS-Nomenklatur beigetragen. Besonderes Verdienst der FAB-Gruppe war es, früher als eigenständig betrachtete hämatologische Erkrankungen zu einer nosologischen Krankheitsgruppe zusammenzuführen und insbesondere die refraktären Anämien als morphologische Ausdrucksformen einer malignen klonalen Stammzellerkrannkung zu definieren. Drüberhinaus ermöglichte die FAB-Klassifikation erstmals prognostische Aussagen und konnte zur Vorhersage von Überlebenswahrscheinlichkeit und AML-Inzidenz der MDS-Patienten genutzt werden [Kerkhofs H 1987].
Trotz dieser unbestrittenen Verdienste ist allerdings frühzeitig kritisiert worden, dass die FAB-Klassifikation ein simplifiziertes Einteilungschema darstellt, das nicht allen morphologischen Varianten eines MDS gerecht werden kann. Außerdem hat sich gezeigt, dass selbst in einheitlich definierten morphologischen Untergruppen zusammengefasste Patienten durch zum Teil erhebliche Unterschiede in ihrer Überlebenswahrscheinlichkeit und Leukämiehäufigkeit gekennzeichnet waren.
Die Düsseldorfer MDS-Gruppe wies 1990 erstmals daraufhin, dass das RARS-Kollektiv eine heterogene Krankheitsgruppe darstellt und anhand einfacher morphologischer Kriterien in mindestens zwei Untergruppen eingeteilt werden kann, die durch unterschiedliche Beteiligung der hämatopoetischen Zellreihen gekennzeichnet sind [Gattermann N 1990]. Während Patienten mit "reiner" sideroblastischer Anämie (keine Dysplasien in den nicht-erythropoetischen Zellreihen) mit günstiger Prognose und geringer AML-Inzidenz assoziiert waren, wiesen Patienten mit Mehrlinien-RARS eine deutlich eingeschränkte Lebenserwartung und ein signifikant erhöhtes Leukämierisiko auf. Die prognostische Bedeutung einer verfeinerten Einteilung des RARS-Kollektivs konnte durch eine prospektive Langzeitstudie [Germing U 2000] und unabhängige Untersuchungen [Garand R 1992] gesichert werden. Die Spanische MDS-Gruppe lieferte in einer weiteren wichtigen Studie [Sanz GF 1989] Hinweise für eine Heterogeneität der RAEB-Gruppe und schlug unter Berücksichtigung eines Knochenmarkschwellenwerts von 10 Prozent Blasten eine Aufteilung in zwei Untergruppen vor, die durch signifikante Unterschiede in Überlebenswahrscheinlichkeit und Häufigkeit des AML-Übergangs gekennzeichnet waren.

Ein weiterer Kritikpunkt an der FAB-Klassifikation bestand in der nosologischen Stellung der CMML, die aufgrund ihrer klinischen und hämatologischen Besonderheiten (Splenomegalie, Leuko- und Monozytose, Verdrängungsmyelopathie als Pathomechanismus der Knochenmarkinsuffizienz) von einigen Autoren nicht als Sonderform eines MDS aufgefasst, sondern zur Gruppe der chronischen myeloproliferativen Erkrankungen gezählt wurde [Michaux JL 1993].
Die 1999 von einer Expertengruppe der World Health Organization vorgeschlagene WHO-Klassifikation berücksichtigte diese Kritikpunkte und schlug anhand morphologischer und zytogenetischer Kriterien eine Einteilung der MDS in acht Untergruppen vor [Harris NL 1997]. Frühe MDS wurden nach Ausmaß der dysplastischen Veränderungen in Einlinien- und Mehrlinien-MDS (RA/RARS bzw. refraktäre Zytopenien mit multilineärer Dysplasie mit oder ohne Ringsideroblasten) aufgeteilt. Signifikante morphologische Atypien werden angenommen, wenn mindestens 10 Prozent der Zellen einer hämatopoetischen Zellreihe dysplastische Veränderungen aufweisen. Für die Diagnose einer refraktären Anämie mit multilineärer Dysplasie (RCMD) müssen mindestens zwei Zellreihen der Hämatopoese betroffen sein. Die RAEB-Gruppe wurde unter Berücksichtigung eines medullären Blastenanteils von 10 Prozent in zwei Gruppen (RAEB-1: medullärer Blastenanteil 5-9 Prozent, RAEB-2: medullärer Blastenanteil 10-19 Prozent) aufgeteilt. Patienten mit isoliertem 5q- Defekt, die aufgrund ihrer hämatologischen, morphologischen und prognostischen Besonderheiten eine Sonderstellung im Spektrum der MDS einnehmen, wurden in einer eigenen Untergruppe (5q- Syndrom) zusammengefasst.
Die Festlegung eines minimalen medullären Blastenanteils von 20 Prozent für die Diagnosestellung einer AML erforderte den Ausschluss der früheren RAEB/T-Gruppe. Die CMML wurde in einer neuen Gruppe hämatopoetischer Neoplasien mit überlappenden Merkmalen myelodysplastischer und myeloproliferativer Syndrome (myelodysplastische/myeloproliferative Erkranklungen, MDS/MPD) eingeordnet. MDS-Patienten, die die Eingangskriteren der RA, RARS, RCMD und RAEB nicht erfüllen und keinen erhöhten Blastenanteil im peripheren Blut und Knochenmark aufweisen, wurden in der Gruppe "unklassifiziertes MDS (MDS-U)" zusammengefasst. Erste Studien haben ergeben, dass die WHO-Klassifikation erfolgreich zur Einteilung myleodysplastischer Erkrankungen eingesetzt werden kann und verfeinerte prognostische Aussagen zur Überlebenswahrscheinlichkeit und zum kumulativen AML-Risiko liefert [Germing U 2000].



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