· Dresden 2006 - Vom Nihilismus zum Algorithmus ·
Druckversion Sitemap Suche öffnen

Epigenetische Therapie: DNA-Methylierung als therapeutisches Target bei myelodysplastischen Syndromen

Autor: Prof. Dr. med. Michael Lübbert, Universitätsklinikum Freiburg, Freiburg
Quellenangabe: Deutsches MDS-Forum - Dresden 2006
Stand: 27.11.2006

Reversible Gen-Inaktivierung ("Silencing") durch Promoter-Methylierung

DNA-Methylierung, d. h. das Anfügen eines Methylrests an der 5. Position des Pyrimidinringes von Cytosin wird über mehrere DNA-Methyltransferasen reguliert. Durch die Replikation eines disktinkten DNA-Methylierungsmusters kann somit das spezifische Repertoire an Genexpression einer spezialisierten Zelle an die Tochterzelle weitergegeben werden. Tumorzellen zeigen bezüglich ihres Repertoires an Genexpression wie auch der DNA-Methylierungsmuster von Genen ein Verhalten, das sich von den Zellen des entsprechenden gesunden Gewebes unterscheidet. So ist z.B. das Gen für den Zellzyklus-Inhibitor p15/INK4b häufig in Zellen der akuten myeloischen Leukämie, und der Myelodysplasien hypermethyliert, während das sehr nahe verwandte p16/INK4a bei diesen Erkrankungen nicht methyliert ist. Die Mechanismen, die zu diesen Inaktivierungsschritten während der Tumorigenese führen, sind noch wenig verstanden.

Therapeutische Möglichkeiten pharmakologischer Demethylierung bei Myelodysplasien (MDS): Entwicklung der Azanukleoside

Das Cytosinanalogon 5-Aza-2'-deoxycytidin (Decitabine, DAC) wird als Desoxyribonukleosid in neu synthetisierte DNA-Stränge inkorporiert und depletiert so die DNMT-Aktivität. Das Ribonukleosidanalogon 5-Azacytidin (Vidaza) wird vor allem in RNA inkorporiert, etwa 10 Prozent werden ebenfalls nach Umwandlung in DAC in die DNA inkorporiert. Beide Substanzen wurden, vor der Entdeckung ihrer demethylierenden Aktivität, in hohen Dosierungen für die Behandlung von Leukämien entwickelt. Nach der Entdeckung der potenten DNA-Demethylierung wurden beide in niedrigeren Dosierungen bei Patienten mit akuten myeloischen Leukämien und Präleukämien eingesetzt. In einer Phase III-Studie der CALGB (Einschluss vor allem von IPSS low- und intermediate I risk Patienten) wurde die subkutane Gabe von 5-Azacytidin verglichen mit alleiniger supportiver Therapie. In dieser Arbeit konnte gezeigt werden, dass die Behandlung mit 5-Azacytidin mit einer Verlängerung der Zeit bis zur Transformation in eine akute myeloische Leukämie oder Tod von 13 auf 21 Monate einherging, was mit einer hochsignifikanten Reduktion von AML als erstem Ereignis einherging. Bei 5-Azacytidin behandelten Patienten zeigte sich eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität gegenüber rein supportiv behandelten Patienten.

Low-dose Decitabine bei Hochrisiko-MDS

Decitabine wurde in mehreren in den Niederlanden initiierten Phase II-Studien als nicht intensive Therapie für myelodysplastische Syndrome entwickelt. Es wurden Gesamtansprechraten von 50 Prozent erzielt, bei etwa der Hälfte dieser Patienten mit kompletter Remission und / oder Transfusionsunabhängigkeit. In einer kumulativen Auswertung von 61 Patienten zeigte sich bei 31 Prozent eine zytogenetische Remission. Diese Gruppe von Patienten zeigte signifikant verlängertes Überleben im Vergleich zu Patienten mit zytogenetischen Aberrationen, welche trotz fortgesetzter Decitabine-Therapie kein solches zytogenetisches Ansprechen erreichten. Interessanterweise zeigte sich ein Überlebensvorteil bei Patienten mit "Hochrisiko" zytogenetischen Aberrationen (Veränderung am Chromosom 7 und/oder komplexaberrantem Karyotyp) gegenüber solchen mit intermediärem zytogenetischen Risikoprofil. Da die stationäre Infusion mit anschließender Entlassung ein prinzipiell ambulantes Management dieser Patienten ermöglicht, wurde in einer retrospektiven Quantifizierung der Krankenhausaufenthalte bezogen auf das Gesamtüberleben einer Gruppe von 99 einheitlich behandelten MDS-Patienten untersucht. Es zeigte sich, dass die Patienten im Median 18 Prozent der Zeit von Therapiebeginn bis zum Tod oder letzte Vorstellung im Krankenhaus verbrachten und umgekehrt 82 Prozent dieser Zeit nicht stationär aufgenommen waren. Somit erlaubt dieser Behandlungsansatz im Gegensatz zur Standard-Induktionschemotherapie wahrscheinlich ein größeres Maß an Lebenszeit zu Hause, was sich in einer "matched pair-Analyse" mit Patienten, die mit anderen Modalitäten behandelt wurden, bestätigte.

Aktive Phase-III-Studien mit niedrig-dosierten demethylierenden Substanzen bei MDS

Als "confirmatory trial" zu der von Silverman et al. durchgeführten Phase III Studie mit subkutanem Vidaza über 7 Tage wurde eine internationale Phase III-Studie auf den Weg gebracht, bei der diese Behandlungsmodalität randomisiert verglichen wird mit einem Kontrollarm, in dem entweder Induktion, low-dose AraC oder nur Supportion vorgesehen ist. Diese Studie hat ihr Rekrutierungsziel fast erreicht. Weiterhin wurden prospektiv-randomisierte Phase III-Studien mit Decitabine (stationär über 3 Tage i.v. gegeben, Wiederholung alles 6 Wochen) sowohl in USA als auch von der EORTC / Deutschen MDS-Studiengruppe initiiert. In diesen Studien wurden Patienten über 60 Jahre mit MDS, bei denen eine intensive Chemotherapie bzw. allogene Transplantation aus Gründen des Alters und/oder Komorbiditäten nicht möglich war, randomisiert für beste supportive Therapie ohne oder mit zusätzlicher Infusion von Decitabine über einen maximalen Behandlungszeitraum von 10 bzw. 8 Kursen. Die amerikanische Studie zeigte einen signifikanten Unterschied in der Ansprechrate (17 Prozent, komplette und partielle Remissionen versus 0 Prozent), jedoch war ein signifikanter Unterschied im Erreichen des primären Endpunktes (Tod oder AML) nur bei Patienten mit Hochrisiko-MDS zu beobachten. Die europäische Studie rekrutiert zurzeit noch.

Promotorhypermethylierung als molekulares target demethylierender Substanzen:

In vivo Ergebnisse:

Während die pharmakologische Demethylierung in Zellkultur nach Zugabe von Azanukleosiden in hunderten Publikationen in den letzten Jahren demonstriert werden konnte (zum Teil mit korrelierenden Expressionsuntersuchungen), ist bisher nur in wenigen klinischen Studien dieses Phänomen untersucht worden. Demethylierende Aktivität in vivo von Decitabine und 5-Azacytidin auf hypermethyliertes p15/INK4b konnte bei Patienten mit Myelodysplasien demonstriert werden. Diese in vivo Aktivität deutet darauf hin, dass noch weitere hypermethylierte Gene durch diese Art von Behandlung reaktiviert werden können. Somit ist die Charakterisierung der biologisch relevanten Zielgene in hämatologischen Neoplasien ein wichtiges Ziel in Begleituntersuchungen klinischer Studien unter Anwendung nicht-zytotoxischer Dosierungen dieser Medikamente.

Ausblick: Optimierung von Behandlungsmodus und -dauer, Kombinationstherapien

Zusammengefasst sind die vorliegenden Ergebnisse mit demethylierenden Substanzen beim MDS vielversprechend, insbesondere für ältere Patienten, bei denen eine aggressive Therapie nicht in Frage kommt. Aktive Untersuchungen möglicher Zielgene sowie Erarbeitung von rationalen Kombinationtherapien (z.B. mit Histon-Deacetylase-Inhibitoren) werden in der Zukunft wahrscheinlich sowohl die Effektivität dieser Therapien als auch die Anwendungsmöglichkeit von demethylierenden Substanzen in der Hämato-Onkologie noch erweitern. Schon jetzt ist klar, dass eine Fortsetzung dieser niedrigdosierten Therapien für die Erhaltung der Remission ("maintenance") von großer Bedeutung ist.



top