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Pathogenese der myelodysplastischen Syndrome

Autor: Dr. med. Uwe Platzbecker, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden
Quellenangabe: Deutsches MDS-Forum - Dresden 2006
Stand: 27.11.2006

Die Pathophysiologie der MDS ist trotz des beträchtlichen Erkenntnisgewinns innerhalb der letzten Dekade nach wie vor nur teilweise geklärt. Wir wissen, dass es sich um eine Stammzellerkrankung handelt, die man als ein biologisches Kontinuum betrachten muss, wo frühe (RA, RARS, 5q- Syndrom) von intermediären (RCMD +/- RS) bzw. fortgeschrittenen Formen (RAEB) bis hin zur AML zu unterscheiden sind. Die Erkrankung gilt als ein Beispiel für eine stufenweise maligne Entartung im Sinne der "multistepp leukemogenesis". Durch eine bisher nicht genau definierte somatische Mutation auf der Ebene einer frühen hämatopoetischen Progenitorzelle kommt es zu einer genomischen Instabilität, die zusammen mit Umweltfaktoren kranheitsauslösend ist. Rauchen, Exposition gegenüber Strahlen bzw. Chemotherapie, Pestiziden und organischen Lösungen können mit der Entwicklung eines MDS assoziiert sein, wobei dies jedoch nur für eine Minderheit der Patienten zutrifft.

Trotz der häufig beobachteten Hyperzellulärität im Knochenmark finden wir paradoxerweise eine zum Teil erhebliche periphere Zytopenie. Dies hat den Begriff der "ineffektiven Hämatopoese" geprägt. In frühen Stadien ist eine gesteigerte Apoptose, also der programmierte Zelltod, im Vergleich zu gesunden Knochenmarkzellen bzw. Patienten mit fortgeschrittenen MDS nachzuweisen. Die gesteigerte Apoptose wird zum einen durch eine Vermehrung von so genannten Todesrezeptoren auf den hämatopoetischen Zellen wie FAS (CD95) oder TRAIL ("TNF-related apoptosis inducing ligand")-Rezeptor erklärt. Außerdem konnte auch eine deutliche Vermehrung von durch Monozyten/Makrophagen sezerniertes TNF-alpha beobachtet werden, welches per se in der Lage ist, eine vermehrte Expression von FAS auf CD34+ Stammzellen zu induzieren. Auf der anderen Seite gibt es den Todesrezeptoren nachgeschaltete Proteine, die deren Wirkung modulieren können. Dazu zählt unter anderem das FLICE (Caspase-8) inhibitory protein, welches in den CD34+ Stammzellen bei Patienten mit MDS im Vergleich zu gesunden deutlich vermindert exprimiert wird und somit den pathophysiologischen Mechanismus der vermehrten Apoptoseneigung dieser Zellen zum Teil erklärt. Bei einer Subgruppe von MDS Patienten wurden außerdem Autoimmunphänomene im Sinne oligoklonaler T-Zellen beobachtet, die ähnlich der aplastischen Anämie zu einer Zerstörung früher hämatopoetischer Progenitoren führen können. Das Zielantigen ist jedoch bisher unbekannt.

Diesen, bei den frühen MDS vermehrt nachzuweisenden Todessignalen, stehen in den fortgeschrittenen Stadien zunehmend Proliferations- bzw. antiapoptotische Signale entgegen. Es konnte dabei u.a. eine konstitutionell vermehrte Phosphorylierung der Proteinkinase B (Akt) nachgewiesen werden. Diese wird u.a. durch das Zytokin VEGF aktiviert, welches sich deutlich vermehrt insbesondere bei Patienten mit Blastenvermehrung nachweisen lässt und neben der vermehrten Gefäßdichte auf eine gesteigerte Angioneogenese schließen lässt. Neben N-RAS und p53 Mutationen bei einer Subgruppe von Patienten, ist eine vermehrte Methylierung von Tumorsuppressorgenen wie p15 oder auch von SOCS1 insbesondere bei Hochrisikopatienten beschrieben worden. Inwieweit Stromazellen an der Pathogenese der MDS mitbeteiligt sind, ist nach wie vor nur unvollständig geklärt.

Aus diesen pathophysiologischen Erkenntnissen hat sich in den letzten Jahren eine Vielfalt neuer Therapiestrategien entwickelt. Eine weitere Vertiefung des Verständnisses für die Genese der MDS z.B. durch innovative molekulare Techniken wird es uns in der Zukunft ermöglichen, biologische Subgruppen zu definieren und damit noch zielgerichteter das gestörte Gleichgewicht zwischen Apoptose und Proliferation zu beeinflussen.



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