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Zytogenetik als Möglichkeit zur Unterscheidung von Subtypen myelodysplastischer Syndrome

Autor: Priv.-Doz. Dr. med. Detlef Haase, Universitätsklinikum Göttingen, Göttingen
Quellenangabe: Deutsches MDS-Forum - Dresden 2006
Stand: 27.11.2006

Einleitung

Die Heterogenität myelodysplastischer Syndrome (MDS) erstreckt sich nicht nur auf das zytomorphologische Erscheinungsbild und auf den klinischen Verlauf, sondern auch auf den (zyto)genetischen Hintergrund dieser Erkrankungsgruppe. Während die prognostische Bedeutung nur der häufigsten klonalen Chromosomenveränderungen bei Myelodysplasien bekannt ist, sind die klinischen Konsequenzen seltenerer Anomalien sowie von Kombinationen verschiedener Aberrationen unklar. Nur innerhalb multizentrischer Kooperationen, wie sie zur Etablierung des Internationalen Prognosescores (IPSS) und Etablierung zytogenetischer Prognosefaktoren gedient haben [Greenberg P 1997] [Solé F 2005], können diese Probleme überwunden werden. Viele der im Weiteren vorgestellten Daten entstammen einer multizentrischen Kooperation im Rahmen der Deutsch-Österreichischen MDS-Studiengruppe. Mit 2072 zytogenetisch untersuchten Patienten ist hier der weltweit größten Datensatz zur Zytogenetik bei MDS entstanden [Haase D 2005].

Zytogenetische Subgruppen

In der genannten Untersuchung zeigten 1080 Patienten (52,1 Prozent) klonale Chromosomenveränderungen. Die häufigsten Anomalien waren 5q- (29 Prozent), komplex (27 Prozent), -7/7q- (24 Prozent), Trisomie 8 (16 Prozent), 20q- (7 Prozent), -Y (5 Prozent). Im Folgenden werden exemplarisch wichtige zytogenetische Subgruppen vorgestellt: Die Unterteilung nach IPSS-Kriterien, Chromosom 5q-Deletionen, die Monosomie 7 sowie komplexe Chro-mosomenanomalien. Für die einzelnen Subtypen werden ihre prognostische Relevanz, der genetische Hintergrund und deren therapeutische Konsequenzen dargestellt. Nach IPSS werden Chromosomenanomalien mit günstiger - (normaler Karyotyop, 5q- isoliert, 20q- isoliert und Y-Verlust) und mit ungünstiger (Chromosom 7-Anomalien, komplexe, d.h. >3 Anomalien) Prognose unterschieden. Alle Anomalien, die weder günstig noch ungünstig sind, werden zur intermediären Gruppe gezählt [Greenberg P 1997]. In unseren Untersuchungen betrug die mediane Überlebenszeit mit einer günstigen IPSS-Zytogenetik 47,8 Monate (n=1217), in der intermediären Gruppe 39,7 Monate (n=401) und in der ungünstigen Gruppe 13,5 Monate (n=454).

5q-Deletionen

Deletionen des langen Armes eines Chromosoms 5 sind mit ca. 30 Prozent Inzidenz die häufigsten Anomalien bei MDS. [Haase D 2005]. Die Deletionen können unterschiedliche Ausdehnungen haben, stets ist jedoch mindestens die Bande q31 betroffen. Der molekulare Hintergrund ist trotz intensiver Forschungsbemühungen immer noch unklar. Es scheint jedoch 2 unterschiedliche deletierte Regionen im Bereich 5q31 zu geben. Eine weiter zentromerwärts gelegene Region, die assoziiert ist mit einer ungünstigen Prognose, Hochrisiko-MDS, und therapieassoziierten MDS und AML. Eine zweite Region liegt weiter distal in Richtung der Bande q32 und scheint mit dem prognostisch günstigen 5q- Syndrom assoziiert zu sein [Nagarajan L 1995] [Boultwood J 2002]

[Olney HJ 2005] [Le Beau MM 2002] [Pellagatti A 2006]. Auf welche Weise einzelne Zusatzanomalien die Prognose von 5q-Deletionen beeinflussen ist aufgrund der Heterogenität auch dieser begleitenden Veränderungen nach wie vor ungeklärt. Generell betrug die mediane Überlebenszeit bei isoliertem 5q- 80 Monate (n=101), bei einer Zusatzanomalie 47 Monate (n= 31) und bei 2 oder mehr weiteren Veränderungen 7 Monate (n=61) [Haase D 2005]. Der bisherige Therapiestandard ist rein supportiv, Versuche mit All-Trans-Retinolsäure waren frustran. Ein präferenzielles Ansprechen auf Therapieansätze wie Immunsuppression, Demethylierung oder Hemmung der Histondeacetylase war bisher nicht zu beobachten [Giagounidis AAN 2005] [NCCN practical guidelines 2005]. Mit der kürzlich berichteten sehr hohen Ansprechrate auf eine Therapie mit Lenalidomid speziell bei Patienten mit 5q-Deletionen besteht jetzt jedoch eine neue viel versprechende Therapieoption [List A 2005].

Monosomie 7

Die Monosomie 7 ist mit ca. 20 Prozent die zweithäufigste Anomalie bei MDS. Es finden sich Assoziationen mit RAS-Mutationen, sowie in Microarray-Analysen ein Expressionsmuster, das ein hohes proliferatives und malignes Potenzial anzeigt. Klinisch finden sich häufig schwere refraktäre Zytopenien und Infektionen. Gehäuft werden Vorerkrankungen wie aplastische Anämien, Fanconi-Anämie, Neuro-fibromatose u.a. oder Expositionen mit Mutagenen wie Benzol, radioaktiver Strahlung und Radiochemotherapie beobachtet [Pedersen-Bjergaard J 2002] [Chen G 2004] [Solé F 2005] [Haase D 2005]. Auf dem langen Arm von Chromosom 7 wurden 2 kritische Regionen (7q22 und 7q32-33) identifiziert, die zurzeit mit molekulargenetischen Verfahren weiter aufgeschlüsselt werden; die releveanten Gene wurden bisher jedoch noch nicht identifiziert [Olney HJ 2005] [Le Beau MM 2002]. Die Prognose der Monosomie 7 ist ungünstig auch wenn die Veränderung isoliert vorliegt [Haase D 2005] [Solé F 2005]. Das Ansprechen auf konventionelle intensive Chemotherapie ist schlecht. Die (einzig kurative) Therapie der Wahl bei jüngeren Patienten ist die allogene Stammzelltransplantation nach myeloablativer Therapie. Neuere Daten legen nahe, dass demethylierende Substanzen bei Monosomie 7 besonders effizient sein könnten [Kavita KR 2005].

Komplexe Anomalien

Komplexe Anomalien zählen mit ca. 25 Prozent Inzidenz zu den häufigsten Karyotyp-veränderungen bei MDS. Bei diesem Subtyp finden sich häufig unbalancierte Aberrationen der Chromosomen 5 und 7, sowie p53-Mutationen. In Microarray-Analysen zeigte sich eine Überexpression von DNS-Reparaturgenen gepaart mit einer Downregulation von Zellzyklus-regulierenden Genen. Klinische Kennzeichen dieser Subgruppe sind höheres Alter, kurze Remissionsdauern, Zytostatika-Resistenz und hohe Rezidivraten verbunden mit einer sehr ungünstigen Prognose von häufig 6 Monaten und weniger [Haase D 2005] [Solé F 2005]. Auch hier ist der einzige kurative Ansatz die allogene Transplantation. Neuere Daten zeigen jedoch, dass sowohl demethylierende Substanzen als auch IMIDs wie Revlimid bei komplexen Anomalien wirksam sein können und sogar genetische Remissionen erreichbar sind [Lübbert M 2001] [Giagounidis AAN 2005)

Zusammenfassung

MDS sind auch genetisch sehr heterogen. Die Zytogenetik ist ein gut etablierter Prognosemarker und integraler Bestandteil des IPSS. Bei vielen seltenen Anomalien ist die klinische Bedeutung noch unklar; diese werden in multizentrischen Studien untersucht. Für bestimmte zytogenetisch definierte MDS-Subtypen zeichnen sich Therapien mit präferenzieller Effizienz ab. Besonders vielversprechend sind hier erste Daten für prognostisch ungünstige Subgruppen. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die Chromosomenanalyse ein unverzichtbarer Bestandteil des modernen klinischen Managements myelodysplastischer Syndrome ist.



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